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Festival Tangente: Freche Verkehrstafeln beleben St. Pölten

Sonderbare Wegweiser, ungewöhnliche Bodenmarkierungen und ein neues Festival entlarven die zweite Kulturhauptstadt Österreichs.

Neue Straßenschilder für das Festival Tangente in St. Pölten.
Neue Straßenschilder für das Festival Tangente in St. Pölten.
Neue Straßenschilder für das Festival Tangente in St. Pölten.
Neue Straßenschilder für das Festival Tangente in St. Pölten.
Neue Straßenschilder für das Festival Tangente in St. Pölten.
Neue Straßenschilder für das Festival Tangente in St. Pölten.
Neue Straßenschilder für das Festival Tangente in St. Pölten.
Neue Straßenschilder für das Festival Tangente in St. Pölten.
Neue Straßenschilder für das Festival Tangente in St. Pölten.
Neue Straßenschilder für das Festival Tangente in St. Pölten.

Statt "Einbahn" steht da "some way". Statt "Halteverbot" zeigt das Schild einen aufgehenden Mond, darunter steht "ein Anfang". Eine Kurzparkzonen-Tafel ist gelb übermalt und trägt die Aufschrift "ohne Zone". In vielerlei Farben, nur nicht jenen, die der StVO entsprechen, sind Markierungen auf Straßen in St. Pölten gemalt, vor allem dort, wo ein Gestänge montiert ist, das sich als anderes als eine Kanalbaustelle zu erkennen gibt: Sitz- und Stehplätze. Auch hier sind freche Schilder wie zwei Fahrverbotstafeln, daneben die Aufschrift "verbergen, verblühen, verbuchen, verbolzen" und darunter auf einer weggedrehten Tafel: "verbiegen".

In der St. Pöltner Altstadt stehen viele Geschäfte leer. Jetzt aber wird daraus, wenigstens an der Linzer Straße, kulturelles Kapital geschlagen: für ein Festivalzentrum mit Gastronomie, Tribünen, Galerie als Treffpunkt von und mit Künstlern der freien Szene sowie ein Kartenbüro samt Vermittlungsraum.

All das sind Vorboten für zweierlei: zum einen für das am 4. Mai angesetzte Straßenfest mit "Workshops, Ausstellungen, Führungen, künstlerischen Interventionen und mittendrin ganz viel Musik", wie es in der Ankündigung heißt. Zum anderen verheißt dies einen außergewöhnlichen Sommer, der einer Niederlage zu verdanken ist. St. Pölten hatte sich ja - wie Salzkammergut und Bodensee-Region - um den Titel Europäische Kulturhauptstadt 2024 beworben. Die jüngste Landeshauptstadt Österreichs - seit 1986 - hatte sich dank entschiedener Kulturpolitik von Landeshauptmann Erwin Pröll (ÖVP) mit neuem Museum, erneuertem Landestheater und neuem Festspielhaus zur Kulturstadt gemausert. Als noch dazu die Viskosefabrik Glanzstoff 2008 zusperrte, galt es umso mehr, das Image von Industrie- zu Kulturstadt zu wandeln. Mit dieser langfristigen Kulturstrategie, die Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) fortführt, und mit dem tatkräftigen St. Pöltner Langzeitbürgermeister Matthias Stadler (SPÖ) galten die Niederösterreicher als Fixstarter für die Kulturhauptstadt 2024. Doch: Den Titel bekam das Salzkammergut.

Besucht man derzeit Bad Ischl, wundert man sich über ein vergammeltes Lehár-Theater. In St. Pölten hingegen ist zum Auftakt des Kultursommers von 1. bis 5. Mai der Domplatz nach jahrelanger Baustelle fertig; die dort entdeckten archäologischen Funde werden im Stadtmuseum gezeigt; das frisch renovierte Dommuseum wird nächste Woche eröffnet; die ehemalige Synagoge wird demnächst als Kulturzentrum eröffnet; Ende Juni wird das "Kinderkunstlabor" fertig. Großräumig in und um die Innenstadt ist an den Wasseradern Traisen und Mühlbach ein Kunst-Parcours angelegt. Freilich sind Landestheater, Festspielhaus, Bühne am Hof und Glanzstoff-Areal Spielorte des Tangente-Festivals mit "250 Veranstaltungen und 75 Produktionen", wie dies der Bürgermeister im Festakt anführte. Und er versichert: "Es wird niemandem fad werden."

Die Eröffnungspremiere im Festspielhaus am Dienstagabend war aufrüttelnd, wenngleich politisch und ökologisch mehr als künstlerisch: Die Oper "Justice", eine Koproduktion mit dem Opernhaus Genf, erzählt ausgehend von einem grauenhaften Lkw-Unfall von der unaufhörlichen Ausbeutung im Kongo - der Natur wie der Menschen. Auch wenn Fiston Mwanza Mujilas Libretto wenig dramatisch-szenisches Potenzial eröffnet, auch wenn Milo Raus Inszenierung von Rampensingen und Videos geprägt ist, ergibt "Justice" ein packendes Ereignis. Das unterstreichen die klangfarbenreiche Komposition von Hèctor Parra sowie vorzügliche Sänger wie der Countertenor Serge Kakudji und die Sopranistin Cyrielle Ndjiki Nya: ein empathischer, von Empörung über Unrecht genährter Blick auf die im Post-Kolonialismus nach wie vor geschundenen, entrechteten Menschen im Kongo.


Festival: Tangente, St. Pölten, bis 6. Oktober.

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