SN.AT / Wirtschaft / Österreich / Wirtschaft

ÖGB-Präsident Katzian: "Kein Streik aus Jux und Tollerei"

Mit der schärfsten Waffe im Arbeitskampf gehe man sorgsam um, sagt der ÖGB-Präsident.

ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian.
ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian.

Höhere Löhne und kürzere Arbeitszeiten bleiben unverrückbare Ziele der Gewerkschaft, sagt Wolfgang Katzian. Betriebe, die das Gründen von Betriebsräten verhindern, sollten strafrechtlich belangt werden.

Herr Präsident, was ging Ihnen beim Ruf der Industrie nach einer 41-Stunden-Woche durch den Kopf? Wolfgang Katzian: Zuerst dachte ich, das sei ein Scherz. Aber ich habe zur Kenntnis nehmen müssen, dass es ernst gemeint ist. Dann habe ich mir gedacht, das ist gar nicht dumm, weil es 47 Millionen unbezahlte Überstunden in Österreich gibt, das sind 1,5 Mrd. Euro, um die Arbeitnehmer geschnalzt werden. Wenn man auf 41 Stunden geht, könnte man einen Teil davon legalisieren. Aus Sicht der Industrie ist das also eine gute Rechnung.

Die Regierung hat der Idee eine Absage erteilt … Da ist mir eingefallen, dass es beim 12-Stunden-Tag und bei der 60-Stunden-Woche zuerst auch eine Absage gab, und dann kam sie doch.

Umgekehrt gibt es auf Sicht auch keine Chance auf Umsetzung der 32-Stunden-Woche. Schmerzt Sie das? Ich habe die 32-Stunden-Woche nicht verlangt, Andreas Babler hat sie als Perspektive bezeichnet. Beim ÖGB-Kongress haben wir Arbeitszeitverkürzung als Schwerpunkt definiert, aber uns nicht auf Zahlen festgelegt. Arbeitszeitverkürzung ist unser tägliches Brot, wir schließen jedes Jahr 450 Kollektivverträge ab, da wird immer um Geld und die Arbeitszeit verhandelt. Leider gibt es noch immer viele Verträge mit den gesetzlich vorgeschriebenen 40 Stunden. Aber in vielen Branchen sind wir deutlich darunter, das geht bis zu 32,5 Stunden bei den Fluglotsen der Austro Control. Es ist ja nicht so, dass sich da nichts tut. Das werden wir mit Rücksicht auf die Lage der Branche weiter tun.

Kann das so weitergehen? Wir sehen, dass sich die Rahmenbedingungen ändern, man kann streiten, ob die künstliche Intelligenz mehr oder weniger Arbeitsplätze bringt. Aber die damit verbundenen hohen Produktivitätssteigerungen sind eine gute Voraussetzung, weitere Schritte in der Arbeitszeit zu machen. Es gibt immer noch Arbeiten, die körperlich und psychisch belastet sind, wie die Pflege. Wenn man dort künftig Arbeitskräfte haben will, wird man bei der Arbeitszeit etwas tun müssen. Dass wir den größten Arbeitskampf der letzten Jahre in der Sozialwirtschaft hatten, ist kein Zufall.

Arbeitszeitverkürzungen in der Vergangenheit wurden durch Produktivitätsgewinne finanziert. Da stößt man aber da und dort an Grenzen, gerade im Dienstleistungsbereich? Dann braucht man mehr Personal, anders wird es nicht gehen.

Mehr Personal zum gleichen Lohn erhöht die Kosten, wer soll die tragen? Bei einer öffentlichen Einrichtung muss man schauen, ob die Einnahmen reichen, um die Kosten aus den Budgets zu finanzieren. Wenn das nicht so ist, werden jene, die sehr breite Schultern haben, mehr beitragen müssen. In der Privatwirtschaft wollen Unternehmen ihre Gewinne halten, aber bei jedem Punkt Lohnerhöhung und jeder Arbeitszeitverkürzung geht es um Verteilungsfragen und damit um einen Interessenausgleich.

Aber man kann Produktivität nicht zwei Mal verteilen - entweder über höhere Löhne oder über kürzere Arbeitszeit? Das eine ist die Abgeltung der Inflation, das hat die Kollektivvertragsverhandlungen in den vergangenen zwei Jahren so schwierig gemacht. Und wir schauen, ob es einen Teil der Produktivität gibt, der beispielsweise für die Arbeitszeit genützt werden kann. Wir haben Abschlüsse gemacht, die nahe an der Inflationsrate waren, obwohl die Produktivität für mehr vorhanden war. Aber es kann nicht immer so sein, dass die Arbeitgeber den Produktivitätsgewinn einstecken.

So schlecht waren die Abschlüsse nicht, die Lohnquote ist so hoch wie lange nicht. Warum ist das so? Die hohen Abschlüsse sind Ergebnis der hohen Inflation. Ich habe immer darauf hingewiesen: Wenn keine echten inflationsdämpfenden Maßnahmen gesetzt werden, bleibt der Gewerkschaft bei den Lohnverhandlungen gar nichts anderes übrig, als einen Ausgleich zu verlangen. Unsere Vorschläge wurden verworfen. Jetzt im Nachhinein sagen Wirtschaftsforscher, man hätte mehr tun können. Maßnahmen kann man immer noch setzen, weil die Inflation in Österreich immer noch doppelt so hoch ist wie im Durchschnitt des Euroraums.

Sie sagen, Lohnkonflikte sind wegen der Inflation härter geworden. Bei der AUA wurde er auf dem Rücken der Passagiere ausgetragen. War es das wert? Diese Frage stellt jede Gewerkschaft bei jedem Abschluss. Offenbar war das Verhältnis zwischen Management und Gewerkschaft ziemlich verfahren - und die Maßnahmen daher notwendig. Ich erinnere an den Auftritt der AUA-Chefin in der "ZiB 2", bei dem sie die Rute einer Eurowings 2 ins Fenster gestellt hat. Das war auch nicht förderlich.

Aber Tatsache ist, dass die AUA im ersten Quartal in die Verlustzone geflogen ist, weil verunsicherte Passagiere eben nicht buchen. Hilfreich war die harte Linie der Gewerkschaft auch nicht. Man kann immer diskutieren, ob Arbeitskämpfe notwendig sind. Da hat die Gewerkschaft in der Vergangenheit viel Verantwortungsgefühl gezeigt. Auch im vergangenen Herbst, wo es wirklich gekracht hat und wir mehr Streikminuten als in den 20 Jahren davor hatten, hat die Sozialpartnerschaft bewiesen, dass sie funktioniert. Am Ende auch bei der AUA. Aber ja, bei einem Streik gibt es immer, vor allem im Dienstleistungsbereich, Betroffene - das ist auch im Verkehrsbereich oder im Handel so. Darum streikt auch niemand aus Jux und Tollerei. Es ist das allerletzte Mittel, wenn gar nichts anderes geht. Es ist ein Grundrecht der Arbeitnehmer, das werden wir uns auch nicht nehmen lassen.

Es gab zuletzt auch wieder den Ruf nach Senkung der Lohnnebenkosten. Arbeit zu entlasten ist doch im Interesse der Gewerkschaft. Warum regt Sie das Thema so auf? Das Problem ist, dass es für die Arbeitgeber Lohnnebenkosten sind, aber für die Arbeitnehmer sind es Lohnnebenleistungen. Und sie sind das Ergebnis jahrzehntelanger Auseinandersetzungen und Kämpfe. Und mich stört, dass jene, die nach einer Senkung rufen, ganz selten konkret sagen, was sie wollen.

Dann nehmen wir konkret die Familienleistungen, die könnte man doch anders finanzieren, etwa über Steuern? Für dieses Beispiel bin ich sehr dankbar, der FLAF kam in den 1950er-Jahren durch Lohnverzicht der Arbeitnehmerschaft zustande. Wer sagt, man könnte diese Leistungen aus dem Steuertopf finanzieren, muss zwei Fragen beantworten. Erstens, wie man den Lohnverzicht kompensiert, und zweitens, woher die Mittel dafür kommen sollen.

Ist es für Sie ein Tabuthema? Nein, wir haben vorgeschlagen, die betriebliche Wertschöpfung als Basis für die Beiträge heranzuziehen, dann würden personalintensive Betriebe entlastet und kapitalintensive belastet. Aber da kommt der Aufschrei Maschinensteuer. Das ist keine sachliche Debatte. Wenn jemand beispielsweise sagt, die Kommunalabgabe soll es nicht mehr geben, soll er auch sagen, wie sich die Gemeinden finanzieren sollen. Dann sind wir auch bereit, darüber zu reden. Nur nach einer Senkung zu rufen ist zu wenig. Und keine Reduktion der Lohnnebenkosten hat dazu geführt, dass den Menschen mehr Netto vom Brutto geblieben ist.

Zusammenfassend, wie würden Sie den Zustand der Sozialpartnerschaft beurteilen? Vom Prinzip her gut. Auf betrieblicher Ebene funktioniert es im Großen und Ganzen. Probleme haben wir dort, wo es keinen Betriebsrat gibt - und zunehmend Tendenzen, Betriebsratswahlen zu verhindern. Da werden wir von jeder neuen Regierung verlangen, dass das als Angriff auf die Demokratie gesehen und strafrechtlich verfolgt wird. Auf Branchenebene ist es so wie bei allen Partnerschaften, hin und wieder knallt eine Tür, aber am Ende gibt es gemeinsame Beschlüsse. Auf politischer Ebene ist die Zusammenarbeit mit den anderen Sozialpartnern intakt und wir versuchen, gemeinsame Positionen zu finden. Aber damit sind wir, etwa bei unseren Vorschlägen gegen die Inflation, bei der Regierung nicht durchgedrungen. Aber das Verhältnis zu dieser Regierung ist besser als zur vorigen schwarz-blauen Koalition.

Welche Bedeutung hat der 1. Mai heute noch für die Arbeiterbewegung? Er hat ganz große Bedeutung. Der 1. Mai ist der internationale Kampftag der Bewegung, das wird er bleiben. Er hat seine historischen Wurzeln in der Forderung nach dem 8-Stunden-Tag, die Gestaltung und Weiterentwicklung der Arbeitszeit unter völlig anderen Lebensverhältnissen und -konzepten ist daher eine große Herausforderung für uns. Das stellen wir am 1. Mai in den Fokus.

Arbeitszeitverkürzung bleibt weiter das Ziel. Gibt es da nach unten für Sie eine Grenze? Ich will keine Zahlen nennen, wir müssen sie aber in Branchen mit hohen Belastungen weiter vorantreiben. Und wir müssen darauf schauen, dass wir der jüngeren Generation, die jetzt zu arbeiten beginnt, Arbeitszeitmodelle anbieten können, die mit ihren Lebenskonzepten in Einklang zu bringen sind. Das ist eine Herausforderung für die Betriebe und für die Gewerkschaft.


Wolfgang Katzian (*1956):Der gelernte Bankkaufmann war ab 2005 Vorsitzender der Gewerkschaft der Privatangestellten. 2018 folgte er Erich Foglar als Präsident des Österreichischen Gewerkschaftsbundes nach, im Juni 2023 wurde er für weitere fünf Jahre in dieses Amt gewählt.

WIRTSCHAFT-NEWSLETTER

Abonnieren Sie jetzt kostenlos den Wirtschaft-Newsletter der "Salzburger Nachrichten".

*) Eine Abbestellung ist jederzeit möglich, weitere Informationen dazu finden Sie hier.

KOMMENTARE (1)

Dietmar Martsch

warum nicht mehr Netto Löhne?
Antworten