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Deutsche Autorin zu Gast in Salzburg: Wie sich der Krieg auf die Kinder auswirkte

Die deutsche Journalistin und Autorin Sabine Bode hat das Schweigen gebrochen. Die 76-Jährige hat in den vergangenen Jahrzehnten hunderte Gespräche mit Kindern und Enkeln von Kriegsteilnehmern geführt und zu Papier gebracht. Ihre Bücher sind Bestseller. Am Mittwoch ist Bode zu Gast im Stadtarchiv Salzburg.

Die Salzburgerin Renate Schwaighofer hat ihren Vater Ludwig Krackl nie kennengelernt. Er kehrte nicht aus dem Krieg zurück. Fotos zeigen ihn und Schwaighofers Mutter Hilda Feichtenschlager.
Die Salzburgerin Renate Schwaighofer hat ihren Vater Ludwig Krackl nie kennengelernt. Er kehrte nicht aus dem Krieg zurück. Fotos zeigen ihn und Schwaighofers Mutter Hilda Feichtenschlager.
Sabine Bode.
Sabine Bode.

Ihren Vater kennt die Salzburgerin Renate Schwaighofer nur von Fotos, die den Zweiten Weltkrieg überdauert haben. "Ich wurde gezeugt, als mein Vater im Frühling 1944 auf Heimaturlaub in Salzburg war, er kehrte danach nicht mehr aus Russland zurück." Jahrelang galt Ludwig Krackl als vermisst. Erst ein Schreiben, das um 1950 einlangte, brachte die Gewissheit, dass er tot ist und in Russland liegt. "Meine Mutter hat nicht mehr geheiratet", erzählt die 79-Jährige. Wie sehr die Ungewissheit und Sorge über den Verbleib ihres Mannes der Mutter in der Schwangerschaft zugesetzt haben müssen, kann Renate Schwaighofer nur erahnen. Sie empfand es als "normal", ohne Vater aufzuwachsen. "Ich kannte ja nichts anderes." Kontakt habe zu den zwei Brüdern der Mutter bestanden. Stets präsent war Ludwig Krackl aber durch ein Foto.

Aufgewachsen in Ruinen in der Salzburger Pfeifergasse 11

"Dieses Bild stand immer in unserer Altstadtwohnung in der Pfeifergasse 11, wo ich mit meiner Mutter und meiner Großmutter in Ruinen aufgewachsen bin", sagt die Salzburgerin und kramt das Foto im silbernen Rahmen aus dem Korb hervor, in dem sie und ihr Mann daheim in Salzburg-Lehen die Familienaufnahmen aufbewahren. Es zeigt einen jungen Mann, der den Waffenrock und ein sympathisches Lächeln im Gesicht trägt. Auf anderen Fotos lacht er im Pinzgau im Kreis seiner Familie und mit einem Freund beim Schwimmen in die Kamera. Ein Naturbursche und ein Zimmermann aus Rauris sei ihr Vater gewesen, erzählt Renate Schwaighofer. Ihre Mutter habe ihn am Obersalzberg in Berchtesgaden während der Errichtung des Kehlsteinhauses kennengelernt. Es wurde 1937/1938 im Auftrag der NSDAP gebaut. Er gehörte zum Bautrupp, sie arbeitete in der Kaffeeküche. 1939 haben die beiden in Salzburg geheiratet. Viel mehr weiß Renate Schwaighofer nicht über ihren Vater. "Es ist damals nicht so viel geredet worden." Aber eines weiß sie gewiss: "Mein Vater hat noch die Nachricht bekommen, dass ich unterwegs bin."

Viele Lebensgeschichten über das Großwerden ohne Vater

Viele Lebensgeschichten über das Großwerden ohne Vater oder über die späte Heimkehr der Väter aus dem Krieg, die für die Kinder nach Jahren der Abwesenheit wie Fremde waren, hat die Journalistin und Autorin Sabine Bode in Hunderten Interviews gehört, die sie in Deutschland mit den Kindern und Enkelkindern der Kriegsteilnehmer geführt hat. In ihren Büchern, die alle Bestseller wurden, hat die heute 76-Jährige auf Grundlage dieser Erzählungen aufgezeigt, wie sich der Krieg und der Nationalsozialismus auf die zwischen 1930 und 1945 Geborenen ausgewirkt haben und wie sie bis heute auf die nachfolgenden Generationen wirken. Sie hat das Tabu gebrochen, nach Jahrzehnten des Schweigens in den Familien über die traumatische Vergangenheit zu sprechen.

Am Mittwochabend, dem 24. April, ist Sabine Bode zu Gast im Stadtarchiv Salzburg, wo sie zum Thema "Die Kinder und Enkel des Krieges" sprechen, aus ihren Büchern lesen und mit dem Historiker Johannes Hofinger ergründen wird, ob es ähnliche Erfahrungen in Salzburg gibt. Auch wenn das Kriegsgeschehen in Deutschland und Österreich nicht vergleichbar ist, so sind doch gewisse grundlegende Themen deckungsgleich.

Den Scheinwerfer legen auf Kriegskinder und Kriegsenkel

Die Forschung habe sich intensiv mit den Soldaten und der Schuldfrage beschäftigt, betont Johannes Hofinger. "Dann kamen die Frauen und Mütter, die sogenannten Trümmerfrauen, dazu." Es sei das Verdienst von Sabine Bode, dass sie den Fokus in Deutschland erstmals auf die Kinder und Enkel der vom Krieg betroffenen Familien gelegt habe. "Sie hat diese Menschen zu Wort kommen lassen und damit ein großes Bedürfnis befriedigt." Je nachdem, wo und wie Kinder den Krieg erlebt haben, sei jeder Fall individuell zu bewerten. "In Salzburg war die Kindheit nicht so schlimm wie in vielen Fällen, die Sabine Bode schildert", sagt Hofinger. Es wäre jedoch eine lohnende Kooperation zwischen der Geschichtswissenschaft und der Psychologie, auch in Salzburg den Scheinwerfer auf Kriegskinder und Kriegsenkel zu legen.

Kriegsbilder aus Salzburg zum Nachschauen

Mädchen mit Faltenrock (1957) in der Alpenstraße.
Mädchen mit Faltenrock (1957) in der Alpenstraße.
Beim (oberen) Eingang zum St.-Peter-Friedhof 1957.
Beim (oberen) Eingang zum St.-Peter-Friedhof 1957.
Schulkinder vor der Spielwarenhandlung 1958.
Schulkinder vor der Spielwarenhandlung 1958.
1947: USFA-Soldaten auf der Terrasse des Café Tomaselli, Kinder bitten um Süßigkeiten. <br />
1947: USFA-Soldaten auf der Terrasse des Café Tomaselli, Kinder bitten um Süßigkeiten. <br />
1947: Flüchtlingslager in den Ruinen des ehemaligen „Hotel de l´Europe“.<br />
1947: Flüchtlingslager in den Ruinen des ehemaligen „Hotel de l´Europe“.<br />

"In Deutschland hat ein Drittel der Kinder extreme Schreckenssituationen erlebt, das war der Bombenkrieg, vor allem aber die Vertreibung", sagt Bode im SN-Gespräch. 14 Millionen Menschen seien entwurzelt worden. "Wir sind schnell in der Psychologie mit all diesen Themen. Krieg hört ja nicht auf, wenn Waffen schweigen." Der Krieg mache es in der Folge sehr schwer, gute enge Beziehungen aufzubauen. "Die Kriegskinder wussten ja nicht, dass sie traumatisiert sind, das haben sie, wenn überhaupt, erst im Alter realisiert." Meist seien diese verdrängten, unverarbeiteten Kriegserlebnisse erst im Ruhestand hochgekommen, nachdem die Erinnerung daran nicht länger durch Arbeit und Familie verdrängt werden konnte.

Die Kinder seien von Erwachsenen aufgezogen worden, die selbst durch die Diktatur und den Krieg tief verunsichert gewesen seien. "Deshalb haben viele Kinder kein Vertrauen ins Leben entwickelt oder es ist ihnen abhandengekommen." Laut den Schilderungen der Kinder seien die Eltern oft in ihren Gefühlen merkwürdig betäubt oder gebremst gewesen. Der Satz einer Frau hat sich Bode besonders eingeprägt: "Sie war gegen Ende 70, hatte aber etwas sehr Kindliches an sich. Sie sinnierte und sagte: ,Ich konnte meine Kinder nicht lieben, das merke ich erst jetzt, ich kann erst jetzt die Enkel lieben.'"

Ängste der Kriegskinder zeigen sich mitunter bei deren Kindern

Die Verunsicherung und die Ängste der Kriegskinder würden sich mitunter auch bei deren Kindern, also den heute 40- bis 60-Jährigen, zeigen, sagt Bode. "Das sind Menschen, die erzählen, dass sie Probleme im Leben haben, die sich aus ihrer Biografie nicht erklären lassen." Bode ermutigt dazu, aufzuarbeiten, was in den drei Generationen vor der eigenen Geburt in der Familie geschehen ist. Sie appelliert, Familienforschung zu betreiben und Fragen zu stellen. In ihren Vorträgen zitiert Bode in diesem Zusammenhang stets Cicero: "Nicht zu wissen, was vor der eigenen Geburt geschehen ist, heißt, immer ein Kind zu bleiben."

Nach Salzburg kommt Sabine Bode auf Einladung des Team Vielfalt im Magistrat, das immer wieder auch Veranstaltungen zum Schwerpunktthema Alter organisiert. "Natürlich geht es beim Alter auch um die Auseinandersetzung damit, was den nachfolgenden Generationen mitgegeben wird, an guten wie an weniger guten Dingen", sagt Ex-Stadträtin Anja Hagenauer. Sabine Bode habe es mit ihren Büchern geschafft, in einer breiten Öffentlichkeit dieses Mit- und Weitergeben zu enttabuisieren, insbesondere wenn es um das Erbe des Nationalsozialismus gehe.
"Darum war es uns wichtig sie nach Salzburg zu holen und gemeinsam mit dem Haus für Stadtgeschichte zu schauen, wie viel Erkenntnis von Sabine Bode auch auf die Salzburgerinnen und Salzburger zutrifft. Und das Reden über Tabus entlastet und bringt Erkenntnis."

Sabine Bode zu Gast in Salzburg

Am Mittwoch, 24. April, 18 Uhr, ist die Journalistin und Autorin zu Gast in Salzburg (Haus für Stadtgeschichte, Glockengasse 8). Anmeldung bei Stadt Salzburg, Team Vielfalt, unter der Telefonnummer 0662/8072-2046 oder per Mail unter
vielfalt@stadt-salzburg.at

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