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KI: "Wir reden vom Formel-1- Boliden, ziehen aber noch das Leiterwagerl"

KI-Experte und 506.ai-CEO Gerhard Kürner im SN-Karriereinterview über Schein und Sein der künstlichen Intelligenz in der aktuellen Praxis - und welche Hausaufgaben es nun zu machen gilt, will man von den Entwicklungen profitieren. Auf dem Karriereforum Salzburg geht er in seiner provokanten Keynote "Revolution der Intelligenz: Künstliche Superhirne übernehmen die Welt!" exklusiv für alle Besucher:innen noch mehr ins Detail.

Gerhard Kürner auf der Bühne – von der KI neu interpretiert.
Gerhard Kürner auf der Bühne – von der KI neu interpretiert.

Gerhard Kürner ist seit Anfang der Achtzigerjahre des letzten Jahrhunderts hautnah dran an der Beziehung und Interaktion von Computern und Menschen. Fasziniert von den Möglichkeiten, verfolgte er sämtliche Entwicklungen, gestaltete solche immer wieder mit und gründete auf diesem Weg diverse Unternehmen, in denen die Erkenntnisse angewendet wurden. Das vorläufige Ende dieses Wegs ist die Beschäftigung mit künstlicher Intelligenz (KI), bei der Kürner einige Jahre Vorsprung gegenüber einem großen Teil des Mitbewerbs hat. "Wir waren so früh dran, dass am Anfang wegen der neuen Endung .ai unsere eigenen Mails bei uns im Spam gelandet sind", schmunzelt Kürner.

SN: Woher kommt Ihre Begeisterung für KI?
Die hat schon 1982 mit dem Vorgänger des C64, dem Commodore VC 20, begonnen und ist bis heute ungebrochen. Mich haben immer schon digitale Themen interessiert - und wie sie Menschen helfen können. Ich habe immer versucht, Dinge zu probieren, zu implementieren. Das hat mich vor allem auch in den Bereich der Kommunikation und des Marketings gebracht, sowohl in großen Unternehmen wie der Voest (deren Kommunikation Kürner viele Jahre leitete, Anm.), aber auch in Agenturen und zahlreichen Eigengründungen. Bei all diesen Stationen habe ich auch vieles gesehen, was nicht funktioniert.

"KI ist quasi Rechenleistung für Fortgeschrittene. Damit ist ,K.I.T.T."
Gerhard Kürner
Gründer und CEO 506.ai


SN: Warum funktioniert die KI?
Es ist immer klarer geworden, dass in einer komplexen Welt ein Agieren nach Gefühlen und Vermutungen nicht mehr zielführend oder auf Dauer erfolgreich ist. Es mag praktisch sein, mit Erfahrung Dinge besser einschätzen zu können, aber das ist kein Erfolgsplan. Im Kern der Komplexität stehen heute Daten, und die kann ein Mensch nicht mehr überblicken geschweige denn auswerten und anwenden. Ein Excel-File mit 1000 Spalten ist einfach zu viel - oder es würde einen nicht vertretbaren und auch sinnlosen Aufwand verursachen, es durch Menschen analysieren zu lassen. Der viel bessere Weg, dies zu tun, war vor einigen Jahren das sogenannte Machine Learning. Und nun folgt als nächster Schritt die KI.

SN: Wo endet Machine Learning, wo beginnt KI?
Machine Learning heißt, ich lehre die Maschine etwas und sie tut genau das. Schnell, mit unglaublichen Datenmengen und tollen Ergebnissen, aber eben nur das. KI in der heutigen Form von LLM (Large Language Models, Anm.) und Diffusion Models beginnt dort: Sie kann mehr als das, was sie gelehrt wurde. Sie zerlegt alles in Token und "rät" nach mathematischen Modellen das nächstsinnvolle, basierend auf einer Unmenge an Daten. Sie integriert die gewonnenen Erkenntnisse in neue Anfragen und wird besser. Sie kann Fragen beantworten, für die sie nicht trainiert wurde. Möglich ist das geworden, weil uns heute unglaubliche Rechenleistungen zur Verfügung stehen. KI ist also quasi Rechenleistung für Fortgeschrittene. Oder anders ausgedrückt: Damit ist "K.I.T.T." aus "Knight Rider" technische Realität geworden.

SN: Wie verbreitet ist der Einsatz von KI bereits?
Wenn wir mal die Blasen von LinkedIn oder Twitter/X verlassen, wird klar: Es gibt noch keinen strukturierten Einsatz von KI im Tagesgeschäft von Unternehmen und Organisationen. Wir reden vom Formel-1-Boliden, ziehen aber noch das Leiterwagerl. Viele haben - und das ist sehr verständlich - Schwierigkeiten, überhaupt einen Einstieg in das Thema zu finden. Die Unternehmen sind auch noch kaum "KI-ready", was ihre Daten und Strukturen betrifft. Das gilt es jetzt aufzuholen.

SN: Wie geht es weiter?
Es werden nahezu täglich Schritte gemacht - als Nächstes werden wir lernen, wo wir die KI wie wirklich einsetzen können und wollen. Meine Einschätzung ist, und daher auch mein Rat an Unternehmen: Mit einfachen Abläufen beginnen, bei der Administration, bei Routineprozessen, also sozusagen in der Bezirksliga der KI. Hier stecken aber viele Effizienzpotenziale. Wegkommen müssen wir aktuell von dem Gedanken, dass jeder Anwender professionelles "Prompting" (die spezifische Befehlseingabe in die KI) mit 60 Wörtern und acht Parametern beherrschen muss. Es kann nicht sein, dass alle Experten sein müssen, wenn sie die KI sinnvoll bedienen wollen. Daher wird es auch zu einer Vereinfachung kommen - sowie in rund zwei Jahren zu Regulierungen.

SN: Stichwort Regulierung: Der "EU AI Act" wird als Grundlage dafür derzeit verhandelt - wie stehen Sie zu der Idee, die Anwendungsbereiche nach Risikogruppen zu unterteilen und entsprechend zu reglementieren?
Zuallererst: Jede Regulierung ist sinnvoll, denn sie gibt auch Sicherheit. Aber, Problem eins: Die Europäer haben hier schon begonnen, als viele Dinge noch gar nicht erkennbar waren. Das ist schwierig, weil so nicht am Puls der Zeit reguliert werden kann. Zweites Problem: Es gibt teils Überdeckungen mit anderen Rechtsbereichen wie dem Datenschutz, der aber bereits massiv geregelt ist. Und drittens: Leider werden zum Beispiel die Transformermodelle derzeit zur Gänze als Hochrisiko eingestuft, was nicht sinnvoll ist. Das ist, wie wenn eine Bohrmaschine automatisch Hochrisiko ist, weil ich jemandem in den Kopf bohren könnte. Die generell gute Idee ist, die Anwendung in eine Risikoklasse zu geben, es ist eine schlechte, das auch um ganze Modelle zu erweitern. Und zu guter Letzt: Viele Dinge sind derzeit einfach nicht genau genug beschrieben, was zu sehr viel Vorsicht führen wird in vielen Unternehmen. Zum Beispiel darf die KI im Output nicht "europäische Werte verletzen" - das ist so nicht exekutierbar. Unsauberkeit in der Regulierung bedeutet einen potenziellen Stop bei der Innovation. Noch könnte die Politik aber auf all das Einfluss nehmen.

SN: Werden viele Jobs letztlich durch die KI ersetzt, oder ist sie für viele sogar eine Chance?
Derzeit ist das Einsparen von Jobs überhaupt nicht die Frage in Österreich. Ich kenne kein Unternehmen, dass das vorhat. Es geht in Zeiten des Fachkräftemangels einerseits darum, ausgelasteten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wieder mehr Zeit zu geben für wichtige Aufgaben, teils auch neue, indem andere effizienter abgehandelt werden können. Andererseits kann neuen, jungen oder schwächeren Kräften Hilfestellung gegeben werden, was Betreuung und Einschulung reduziert. Für beides wird es notwendig sein, am Beginn grundlegende KI-Kompetenzen zu schulen, aber wie angesprochen auch zu vereinfachen und auf die Firmenbedürfnisse zu adaptieren. Der Fachkräftemangel wird dadurch zwar insgesamt nicht beseitigt, aber etwas gelindert. Außerdem wird KI bei der Mitarbeitersuche und -ansprache verwendet werden, sowie für effizientere Prozesse und Kommunikation. Der Personalbereich ist einer derjenigen, die am meisten von KI profitieren können.