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Politik gedenkt der Opfer des Nationalsozialismus: Die neuen Fratzen des Antisemitismus

Gedenken vor dem aktuellen Hintergrund der neuen und alten Juden- und Israelfeindlichkeit. Hamas-Angriff öffnete "Büchse der Pandora".

Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka bei der Eröffnungsrede
Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka bei der Eröffnungsrede

Die alljährlich Anfang Mai stattfindenden Gedenkveranstaltungen gegen Gewalt und Rassismus rund um den Jahrestag der Befreiung des KZ Mauthausen waren noch nie so weit von Gedenkroutine entfernt wie in diesem Jahr.

Der Terrorüberfall der Hamas auf Israel und der Krieg im Gazastreifen haben weltweit und auch in Österreich zu einem dramatischen Aufwallen des Antisemitismus geführt. "Es scheint, dass der Angriff der Hamas die Büchse der Pandora geöffnet hat", erklärte Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) am Freitag im Hinblick auf den zuvor "unter der Oberfläche" gewähnten Stock an Antisemitismus. "Ich glaube, sagen zu müssen, dass wir das Ausmaß des Potenzials des Antisemitismus in unserem Land unterschätzt haben." Seit dem Angriff der Hamas hätten sich in Österreich die antisemitischen Vorfälle, von zuvor statistisch 1,55 pro Tag auf 8,3 Vorfälle täglich verfünffacht.

Edtstadler wies am Freitag darauf hin, dass mit den jüngsten Beschmierungen von jüdischen Geschäften in der Wiener Leopoldstadt "Dinge, die ich gedacht habe, dass wir sie nur mehr aus den Geschichtsbüchern kennen, wieder zur Realität mitten unter uns in Österreich geworden sind." Vor dem Hintergrund des massiv ansteigenden Antisemitismus und der zunehmenden Gewalt sei es "notwendig, nicht nur zu gedenken, sondern auch tatsächlich die Gedenktage mit Inhalten zu füllen."

28 der 38 mit der 2021 präsentierten Nationalen Strategie gegen Antisemitismus entworfenen Maßnahmen seien bereits komplett umgesetzt. Zu eindeutig antisemitischen Parolen wie " From the river to the sea" erwartet Edtstadler mit dem reformierten Verbotsgesetz bald klare Judikatur. Die Ministerin räumt ein, dass man beim Thema Antisemitismus "auf dem linken Auge "immer relativ blind" gewesen sei. Doch das Pendel habe nicht nur rund um die Vorfälle an US-Unis sondern auch in Österreich "von rechts nach links ausgeschlagen."

In seiner Rede beim Gedenktag gegen Gewalt und Rassismus im Parlament stellte Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) die neue breite antisemitische Bedrohungslage dar: "Der Antisemitismus zeigt sich heute mit den unterschiedlichsten Gesichtern. Die rechtsextreme, rassistische Fratze kennen wir seit Jahrzehnten. Die linksextreme artikuliert sich in einem offenen Antiisraelismus und kruden Antizionismus. Und mit der Migration aus islamischen Staaten haben wir einen Judenhass importiert, der die Straßen der europäischen Kapitale flutet."

Die prominente deutsche Antisemitismusforscherin Monika Schwarz-Friesel verwies in ihrer mit stehenden Ovationen quittierten Gedenkrede im Parlament auf die "Israelisierung des Antisemitismus": "Seit seiner Gründung wird der jüdische Staat gehasst, weil er existiert, und nicht weil er etwas tut oder nicht tut." Schwarz-Fiesel kritisierte die "monströsen" Reaktionen der Welt auf das "monströse" Massaker der Hamas, die gezeigt hätten, "dass Teile der Welt nichts aus der Geschichte gelernt haben."

Statt eines internationalen Aufschreis habe es nach dem Terrorüberfall der Hamas "das zum Teil ohrenbetäubende Schweigen ausgerechnet von denen gegeben, die sich sonst als erste lautstark empören." Die Ja-Aber Rhetorik des "pseudointellektuellen politischen Diskurses " bis rauf zur UN-Ebene habe das alte antisemitische Argument, die Juden seien an ihrem Unglück selbst schuld, reproduziert. In den jüdischen Gemeinden weltweit sei es mit großer Wucht zu einer Retraumatisierung gekommen.

Schwarz-Fiesel konstatiert aktuell insgesamt sogar vier politisch-ideologische Formen der Judenfeindschaft: Den linken, den rechten, den muslimischen und den "mittig gebildeten Feuilleton-Antisemitismus". Diese würden trotz aller ideologischen Differenzen Allianzen bilden und sich alle in der Dämonisierung Israels treffen.

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